Wehret den Anfängen!
Statt unser Leben zu erleichtern, droht die Technologie uns zu vereinnahmen. In „Alone Together“, einem menschlichen Plädoyer für einen vernünftigen Umgang damit, erklärt Sherry Turkle, wie es dazu kommt und warum wir uns damit auseinandersetzen müssen.
Es ist zappenduster auf der Erde. Maschinen mit künstlicher Intelligenz bevölkern den Planeten, Menschen vegetieren – mit wenigen Ausnahmen – in Kapseln vor sich hin, gezüchtet als Energiequelle für die Automaten. Das Bewusstsein der Menschen angeschlossen an eine virtuelle, simulierte Realität, um sie ruhig zu stellen. So zeichnet der Science- Fiction-Film „Matrix“ unsere Zukunft. Eine Zukunft, in der die Technologie sich von ihren Schöpfern emanzipiert und diese versklavt.
Was, wenn es gar keinen physischen Krieg zwischen Mensch und Maschine gibt? Sondern diese ganz anders Macht über uns gewinnen? Wenn die Technologie langsam, schleichend Herr über uns wird? Wir uns in ihr verlieren, ohne es zu merken? In ihrem Buch „Alone Together“, das dieses Jahr auf Englisch erschienen ist, macht die Psychoanalytikerin und Computerforscherin Sherry Turkle auf eine beunruhigende Entwicklung aufmerksam. Sie zeigt auf, wie die Technologie immer mehr von uns abverlangt, obwohl sie eigentlich dazu da ist, unser Leben zu erleichtern. Und wie die Technologie einen immer grösseren, nicht unbedingt positiven, Einfluss auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen gewinnt.
Gefühle für Objekte
„Alone Together“ besteht aus zwei Teilen, die zwei unterschiedliche Gesichter dieses Einflusses aufzeigen. Der erste handelt von Robotern, die sich so verhalten, als wären sie lebendig. Automaten, die uns das Gefühl geben können, uns in der Gesellschaft eines beseelten Wesens zu befinden, obwohl wir eigentlich alleine sind. Der zweite Teil beleuchtet die andere Seite, eine nicht weniger paradoxe: Er handelt von unserer Vernetzung, der permanenten Verbundenheit durch Handys, E- Mail und Social Media. Die ständige Erreichbarkeit, und das steigende Verlangen nach (oberflächlicher) sozialer Interaktion führe dazu, so Turkle, dass Menschen zwar zusammen sind, sich dabei aber trotzdem einsam fühlen können. Wir sind allein und fühlen uns Verbunden. Wir sind verbunden und fühlen uns allein.
Der erste Teil beginnt relativ harmlos: Mit Tamagotchis, flauschigen Furbys und Aiko, einem japanischen Robo-Hund. „Lebende“ Spielsachen. Turkle liess Kinder mit ihnen Spielen und stellt in Interviews fest, dass die Kinder eine Beziehung zu ihren Robotern aufbauen – obwohl sie wissen, dass es nur Objekte sind. Schon jetzt macht sich ein leichtes unheimliches Gefühl breit. Und verstärkt sich, als Turkle die Spielwarenwelt verlässt und immer fortgeschrittenere Modelle präsentiert. Dabei geht es nicht einmal um deren Fähigkeiten – sondern ihren Auswirkungen auf den Menschen. Da ist die Grossmutter, die beginnt, ihre um Aufmerksamkeit buhlende Enkelin zu ignorieren, sobald sie sich mit einem sehr ausgeklügelten Roboter-Baby beschäftigt. Oder das gleiche „Baby“, das zum
engsten Vertrauten eines einsamen Altersheimbewohners wird, der jedes Geheimnis mit ihm Teilt, sich täglich darum kümmert; es zum Lebensinhalt macht.
Spätestens hier wird deutlich, dass es in „Alone Together“ nicht einfach um eine Präsentation technologischer Möglichkeiten geht. Das Buch macht bewusst, dass die sozialen Roboter uns mit schwierigen ethischen Fragen konfrontieren werden. Zum Beispiel: Darf man in Zukunft alte Leute – vielleicht durch Personalmangel gezwungen – mit Pflegerobotern abspeisen, wenn diese ihnen ein gutes Gefühl verleihen?
Permanent auf Draht
Der zweite Teil stellt dann die Thematik noch einmal auf den Kopf. Er erzählt unter anderem von der Geschäftsfrau und nur davon spricht, E-Mails von Freunden „abzuarbeiten“ und zu „erledigen“. Sie hat mit Menschen zu tun, behandelt diese aber auf eine Art wie Objekte. Er erzählt von Jugendlichen, die täglich 500 SMS verschicken und unter Entzugserscheinungen leiden, wenn sie ihre Handys nicht dabei haben. Und von Menschen, die in virtuelle Welten im Internet flüchten, weil es dort um einiges einfacher und konfliktfreier zu und hergeht als im echten Leben. Turkle erzählt von Eltern, die am Familientisch und beim Fussballmatch ihrer Kinder mit ihren Smartphones beschäftigt sind. Von einer Beerdigung, an der die Leute heimlich SMS schreiben und surfen, weil sie es nicht mehr gewohnt sind, für länger als ein paar Minuten getrennt zu sein vom Rest der Welt. Sie erzählt vom Stress, der die permanente Verbundenheit mit sich bringt und vom Wunsch – aber auch der Unfähigkeit – der Menschen, sich davon lösen zu können.
Die Debatte ist eröffnet
„Alone Together“ ist aus mehreren Gründen ein grossartiges Buch. In erster Linie, weil es ein komplexes aktuelles Thema so behandelt, dass es nie langweilig, theoretisch oder trocken wirkt. Turkle stellt keine einzige These, keine einzige Schlussfolgerung ohne lebendiges Beispiel auf. Zu jeden Aspekt bringt sie eine persönliche Anekdote oder Zitate von Leuten, die sie interviewt hat.
Die zweite grosse Stärke des Buches ist, dass sie die Technologie weder verteufelt noch verherrlicht. Natürlich, der Grundton ist kritisch, sonst hätte das Buch nicht geschrieben werden müssen. Aber nie kommt die radikale Forderung, wir müssten uns gänzlich von der Technologie lösen. Sherry Turkle plädiert in erster Linie dafür, dass wir uns der Gefahren bewusst werden, uns mit ihnen auseinandersetzen und lernen, damit umzugehen. Damit es wieder so wird, wie es sein sollte; dass uns die Technologie dient – statt uns zu versklaven.